Als eines der ältesten Kulturpflanzen zählt Getreide zu den Grundnahrungsmitteln, das seit Jahrtausenden auf Feldern weltweit angebaut wird. Während die Landwirtschaft heutzutage von modernen Hochleistungssorten dominiert wird, erleben alte Getreidesorten wie Gelbweizen, Champagnerroggen oder Waldstaudenroggen eine erstaunliche Wiederbelebung. Historische Sorten stehen dank der aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen über Biodiversität, Nachhaltigkeit, Regionalität und Ernährungssicherheit wieder im Mittelpunkt für Landwirte, Mühlenbetriebe und Verbraucher. Oft blicken sie auf Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende zurück; sie sind Zeitzeugen regionaler Kultur und kulinarischer Traditionen, die vielerorts fast in Vergessenheit geraten sind.
Über viele Jahrzehnte ist der Anbau alter Sorten stark zurückgegangen. Die Ursachen dafür waren der niedrige Ertrag im Vergleich, die oft aufwendigere Verarbeitung und das Fehlen von Absatzmärkten. Durch den Siegeszug einheitlicher, auf Höchstertrag gezüchteter Sorten sind viele regionale Getreidearten aus dem landwirtschaftlichen Alltag verschwunden. Aber mittlerweile steigt die Nachfrage nach alternativen, ursprünglichen Lebensmitteln. Die Vorzüge vergessener Getreidearten werden von Handwerksbäckern, Biohöfen und experimentierfreudigen Hobbygärtnern entdeckt: ihre Robustheit, einzigartigen Aromen und ernährungsphysiologischen Vorteilen. Politische Initiativen, die den Verlust genetischer Vielfalt bekämpfen und Landwirte beim Erhalt alter Sorten unterstützen, begleiten die Rückkehr von Gelbweizen und Co.
In Sachsen setzen einige Mühlen bewusst auf die Verarbeitung von traditionellem Getreide. Ihr Kundenstamm umfasst neben regionalen Bäckereien auch Metropolen wie Berlin, wo der Bedarf an Spezialmehlen wächst. Es sind auch Biolandwirte, die mit Pioniergeist und Überzeugung neue Wege beschreiten, um alten Sorten wieder einen Platz auf den Feldern zu ermöglichen. Ihre Beweggründe sind vielfältig: Neben wirtschaftlichen Aspekten finden auch ökologische Überlegungen, der Wunsch nach exklusiven Produkten und das Bewahren landwirtschaftlicher Traditionen Berücksichtigung. Mit finanzieller Unterstützung für den Anbau alter Kulturpflanzen leisten staatliche Förderprogramme einen zusätzlichen Anstoß.
Auch auf der Verbraucherseite verändert sich das Bewusstsein. Ein wachsender Anteil der Bevölkerung schätzt die Transparenz, Regionalität und Authentizität seiner Nahrungsmittel. Ein neues kulinarisches Selbstverständnis zeigt sich in der Rückkehr zu alten Getreidesorten: Brot, Gebäck und andere Backwaren aus Gelbweizen oder Champagnerroggen sind ein Zeichen für Vielfalt, Geschmack und einen bewussten Umgang mit unseren Ressourcen. Die Wiederentdeckung alter Sorten bietet gleichzeitig Chancen für den ökologischen Landbau, die Anpassung an den Klimawandel und die Erschließung neuer Märkte. In diesem Kontext fragt man sich: Wie gelingt das Comeback der alten Getreidesorten – und welche Chancen bieten sie der Landwirtschaft, der Ernährung und der Umwelt im Jahr 2025?
Historische Getreidesorten: Vielfalt und kulturelles Erbe
Die Entwicklung der Getreidekultivierung ist untrennbar mit dem Fortschritt der menschlichen Zivilisationen verbunden. Vor mehr als 10.000 Jahren fingen die Menschen im Fruchtbaren Halbmond an, Wildgräser gezielt zu kultivieren und zu verbessern. Über die Jahrhunderte hinweg wurden zahlreiche regional angepasste Getreidesorten entwickelt – von dem aromatischen Emmer und Einkorn im Mittelmeerraum bis hin zu dem resistenten Waldstaudenroggen im nördlichen Europa. Diese Sorten entstanden durch lokale Züchtung, die sich an Klima, Boden und den Bedürfnissen der Bevölkerung anpasste.
Nicht nur als landwirtschaftliche Nutzpflanzen, sondern auch als kulturelle Symbole gelten alte Getreidesorten. Sie sind ein Abbild des handwerklichen Wissens und der Ernährungsweisen unserer Vorfahren. Bis ins 20. Jahrhundert waren in Mitteleuropa zahlreiche Roggen- und Weizensorten alltäglich – wie Gelbweizen, Rotkornweizen, Champagnerroggen oder der mehrjährige Waldstaudenroggen. Besondere Geschmacksnoten, Nährstoffgehalte und Backeigenschaften kennzeichnen viele dieser Sorten. Gelbweizen verleiht Backwaren aufgrund seines hohen Gehalts an Carotinoiden eine natürlich goldene Farbe, während der Waldstaudenroggen sich durch seine Robustheit auf kargen Böden und sein würziges Aroma auszeichnet.
Ab den 1950er Jahren, mit der Industrialisierung der Landwirtschaft, kamen immer mehr Hochleistungssorten zum Einsatz. Ihr Zuchtziel lag auf hohen Erträgen, gleichmäßigem Wachstum und einer guten mechanischen Verarbeitung. Die Vielfalt der sortenreichen traditionellen Getreidearten nahm ab: UN-Schätzungen zufolge ist im Verlauf eines Jahrhunderts etwa 75 Prozent der landwirtschaftlichen Sortenvielfalt verloren gegangen. Alte Getreidearten wie Gelbweizen wurden weitgehend vergessen, und nur wenige Spezialisten bauten sie an. Dadurch wurde die genetische Basis des modernen Getreideanbaus verkleinert, was mögliche Auswirkungen auf die Anfälligkeit gegenüber Krankheiten und Klimaveränderungen haben könnte.
In den letzten Jahren ist das Interesse an historischen Getreidesorten gewachsen. Museen, Vereine und Initiativen engagieren sich für den Erhalt dieses kulturellen Erbes. Genetische Vielfalt wird von Saatgutbanken bewahrt, während regionale Initiativen und passionierte Landwirte alte Sorten zurück auf die Felder bringen. Die Wiederentdeckung von alten Getreidearten ist also nicht nur ein landwirtschaftlicher, sondern auch ein gesellschaftlicher Prozess, der Themen wie Identität, Nachhaltigkeit und Genuss miteinander verknüpft.
Rückkehr auf die Felder: Pioniere und Anbaustrategien
Für alte Getreidesorten ist der Weg zurück aufs Feld oft steinig. Besonderen Herausforderungen für Landwirte sind sie durch ihren Anbau: Verminderte Erträge, teilweise arbeitsintensivere Pflege und Unsicherheiten bezüglich der Vermarktung schrecken viele Betriebe ab. Eine wachsende Anzahl von Pionieren setzt sich jedoch gezielt für die Wiederbelebung der traditionellen Sorten ein. Für sie ist es nicht nur eine Chance, genetische Ressourcen zu bewahren, sondern auch eine wirtschaftliche Möglichkeit abseits des Massenmarktes.
Ein Beispiel sind Betriebe in Sachsen, die seit einigen Jahren bewusst auf Gelbweizen, Champagnerroggen oder Waldstaudenroggen setzen. Um ihre besonderen Vorteile zu nutzen, werden diese Sorten häufig in Fruchtfolgen eingebaut. Ein Beispiel dafür ist der mehrjährige Waldstaudenroggen, der selbst auf kargen, nährstoffarmen Böden wachsen kann und mit seinem dichten Wurzelwerk zur Bodenverbesserung beiträgt. Gelbweizen wird wegen seines einzigartigen Farb- und Geschmacksprofils geschätzt – vor allem von Handwerksbäckern, die sich mit besonderen Produkten von der Masse abheben wollen.
Die Entscheidung für das Saatgut ist ein entscheidender Schritt. Nur spezialisierte Genbanken oder Vereine wie der Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen (VERN) in Brandenburg bieten viele alte Sorten noch an. Alte Getreidesorten werden dort in zunehmendem Maße vermehrt, geprüft und für den Anbau angepasst. Ein entscheidendes Kriterium ist die Anpassungsfähigkeit an die heutigen Anbaubedingungen: Nicht jede historische Sorte passt zu jeder Region oder jedem Betriebskonzept.
Die Anbaustrategien basieren auf ökologischen Prinzipien. Ein großer Teil der Rückkehrer setzt auf biologischen oder integrierten Landbau. Weil sie ursprünglich für den Anbau unter schwierigen Bedingungen gezüchtet wurden, brauchen alte Getreidesorten oft weniger Dünger und Pflanzenschutzmittel. Dank ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Schädlinge sind sie ein wichtiges Element für nachhaltige Anbausysteme. Um die Erträge zu stabilisieren, probieren Landwirte Mischkulturen, längere Fruchtfolgen und eine gezielte Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit aus.
Vermarktung und Zusammenarbeit sind von entscheidender Bedeutung. Weil der Absatzmarkt für alte Getreidesorten noch nicht sehr groß ist, gehen viele Pioniere enge Kooperationen mit Mühlen, Bäckern und Direktvermarktern ein. Das Bewusstsein für die Vorzüge alter Getreidearten zu schärfen und neue Kundengruppen zu finden, gelingt durch gemeinsame Projekte, regionale Netzwerke und gezielte Öffentlichkeitsarbeit. Auf diese Weise entsteht eine Wertschöpfungskette, die vom Saatgut bis zum fertigen Brot reicht und wirtschaftliche sowie ökologische Ziele verfolgt.
Die Rolle der Mühlen: Verarbeitung und Innovation
Ohne kreative Mühlenbetriebe ist die Wiederentdeckung alter Getreidesorten kaum möglich. Sie sind das Bindeglied zwischen Landwirtschaft und handwerklicher Verarbeitung und spielen eine Schlüsselrolle in der Förderung der Sortenvielfalt. Während große Industriemühlen auf standardisierte Massenware setzen, sind oft kleine, familiengeführte Betriebe die Spezialisten für die Verarbeitung von Spezialgetreide.
Die Rolle-Mühle in Sachsen ist ein anschauliches Beispiel. Mit Wasserkraft werden hier täglich bis zu 50 Tonnen Getreide – darunter Weizen, Dinkel, Roggen und zunehmend auch seltene Sorten wie Gelbweizen oder Champagnerroggen – vermahlen. Um alte Getreidesorten zu verarbeiten, braucht man spezielles Fachwissen: Verschiedene Kornhärten, Feuchtigkeitsgehalte und Klebereigenschaften erfordern besondere Anpassungen von Mahltechnik und Qualitätskontrolle. Um ein hochwertiges Mehl zu erhalten, werden die Verarbeitungslinien oft auf die besonderen Eigenschaften der jeweiligen Sorte abgestimmt.
Dabei steht Innovation im Vordergrund. Mühlen stehen vor der Herausforderung, neue Mahlsysteme zu entwickeln, traditionelle und moderne Technik zu vereinen und sich an ökologische Standards anzupassen. Alte Sorten zur Herstellung von Biomehlen zu nutzen, schafft neue Absatzchancen, weil immer mehr Menschen nachhaltige und rückverfolgbare Produkte schätzen. Darüber hinaus gehen Mühlen enge Partnerschaften mit Bäckereien, Gastronomen und Lebensmittelmanufakturen ein, um maßgeschneiderte Mehlmischungen und Spezialprodukte zu kreieren.
Die Vermarktung ist längst über regionale Grenzen hinaus. Aufgrund des wachsenden Interesses an authentischen Lebensmitteln finden Spezialmehle aus alten Sorten ihren Weg bis in die Großstädte. In Berlin nutzen Bäckereien die besonderen Eigenschaften von Gelbweizen- oder Champagnerroggenmehl, um exklusive Backwaren zu schaffen, die sich deutlich vom Standardangebot abheben. Die Mühlen profitieren von einer wachsenden Anhängerschaft, die gezielt Produkte aus traditionellen Getreidearten sucht.
Die Mühlen sind als Innovationsmotoren zu erkennen, indem sie mit Forschungseinrichtungen und Züchtungsprogrammen zusammenarbeiten. Indem Sie neue und wiederentdeckte Sorten auf Verarbeitungseignung, Geschmack und Backqualität prüfen, helfen Sie, altes Wissen mit den Anforderungen der Gegenwart zu verbinden. Indem sie die Mahltechnik stetig verbessern und neuen Sorten eine Chance geben, leisten Mühlen einen bedeutenden Beitrag zur Diversität im Getreideanbau und zur Qualitätssicherung über die gesamte Wertschöpfungskette.
Kulinarische Vielfalt: Geschmack, Tradition und neue Produkte
Eine spannende Vielfalt an Geschmacksnuancen, Backeigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten steckt in alten Getreidesorten. Sie sind nicht nur aus agrarischer, sondern auch aus kulinarischer Perspektive von großer Bedeutung. Das Potenzial von vergessenen Getreidearten für die Produktentwicklung und die Pflege kulinarischer Traditionen wird in den letzten Jahren von immer mehr Bäckern, Konditoren und Gastronomen erkannt.
Gelbweizen hat einen hohen Carotinoidgehalt, was Backwaren eine kräftige gelbe Farbe verleiht – ganz ohne Eier oder Farbstoffe. Dank seines aromatischen und leicht süßlichen Geschmacks ist er eine beliebte Zutat für Brote, Brötchen und Feingebäck. Champagnerroggen hat ein fein-nussiges, leicht malziges Aroma, das besonders in Sauerteigbroten zur Geltung kommt. Der mehrjährige Waldstaudenroggen punktet mit einem kräftigen, würzigen Geschmack und ist ideal für rustikale Vollkornprodukte.
Die Individualität, die alte Getreidesorten ihren Erzeugnissen verleiht, ist ein geschätzter Wert für Handwerksbäcker. Die Backwaren aus Gelbweizen oder Champagnerroggen sind durch ihr Aussehen und ihren Geschmack einzigartig. Sie sind eine Alternative zum Einheitsbrot der Supermärkte und erlauben eine Differenzierung in diesem hart umkämpften Markt. Neue Rezepturen werden von vielen Bäckern ausprobiert, sei es durch die Kombination verschiedener Getreidearten oder durch den Einsatz von traditionellen Backmethoden wie Langzeitführung oder Sauerteig. So kreiert man neue Produkte, die die lokale Geschichte mit der zeitgenössischen Esskultur vereinen.
Die Wiederentdeckung alter Getreidesorten in der Küche findet auch Einzug in die Gastronomie. Spezialmehle werden von Spitzenköchen und Restaurants gezielt eingesetzt, um ihren Gerichten eine besondere Note zu verleihen. Gerichte mit Gelbweizennudeln, Kuchen aus Rotkornweizen oder Brötchen mit Waldstaudenroggen sind immer häufiger auf Speisekarten zu finden, die Regionalität und Handwerk betonen. Die Zusammenarbeit zwischen Landwirten, Mühlen und der Gastronomie unterstützt den direkten Austausch und die Schaffung von maßgeschneiderten Produkten.
Neben dem Genuss sind auch gesundheitliche Faktoren wichtig. Viele alte Getreidesorten haben ein günstiges Nährstoffprofil und sind reich an Mineralstoffen, Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen. Oft haben sie einen geringeren Gehalt an Gluten oder anderen problematischen Inhaltsstoffen als die modernen Hochleistungssorten, was sie für Menschen mit Unverträglichkeiten interessant macht. Sie sind keine Ersatzprodukte, sondern eigenständige Lebensmittel mit ihrer eigenen Geschichte und Charakter.
Die Anerkennung von alten Getreidearten wächst, wie man an Wettbewerben, Auszeichnungen und regionalen Initiativen sehen kann. Bäcker und Hersteller, die auf alte Sorten setzen, werden mit Preisen für Innovation und Qualität ausgezeichnet. Die bunte Mischung auf dem Teller ist ein Zeichen des Wandels – und damit wächst auch das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Herkunft, Handwerk und Geschmack.
Ökologische Vorteile und Biodiversität
Das Pflanzen von alten Getreidesorten hat nicht nur kulinarische und kulturelle Vorteile, sondern es ist auch ein wichtiger Schritt zum Schutz der Biodiversität und zur Unterstützung nachhaltiger Agrarsysteme. Die Anfälligkeit für Krankheiten, Schädlinge und extreme Wetterbedingungen ist ein häufiges Problem bei moderne Monokulturen. Die genetische Verengung, die durch den Anbau einer geringen Anzahl von Hochleistungssorten entsteht, erhöht das Risiko von großflächigen Ernteausfällen und macht es schwieriger, sich an neue Umweltbedingungen anzupassen.
In vielen Fällen weisen alte Getreidesorten eine große genetische Vielfalt sowie spezifische Resistenzen gegen Krankheiten und Schädlinge auf. Ihre jahrhundertelange Anpassung an regionale Gegebenheiten macht sie zu einem besonders wertvollen Gut für den ökologischen Landbau. Ein Beispiel ist der Waldstaudenroggen, der weniger Dünger und Pflanzenschutzmittel benötigt und durch sein ausgedehntes Wurzelwerk zur Verbesserung der Bodenstruktur beiträgt. Gelbweizen und andere alte Sorten zeigen oft eine größere Genügsamkeit und sind widerstandsfähiger gegen Trockenheit, was angesichts des sich verschlimmernden Klimawandels ein wichtiger Vorteil sein kann.
Ein wichtiger ökologischer Vorteil alter Getreidesorten ist die Förderung der Artenvielfalt auf und um die Felder herum. Verschiedene Blühzeiten, Wuchshöhen und Wurzelstrukturen bilden Lebensräume für Insekten, Vögeln und Mikroorganismen. Der Einsatz von Mischkulturen und längeren Fruchtfolgen, die man oft beim Anbau alter Sorten findet, ist eine gute Möglichkeit, die Monotonie großflächiger Getreideschläge zu durchbrechen und somit agrarische Kulturlandschaften zu bewahren. Felder mit alten Getreidesorten sind laut Studien die Heimat einer größeren Vielfalt von Begleitflora und -fauna im Vergleich zu modernen Monokulturen.
Traditionelle Getreidearten zu bewahren und zu nutzen, ist auch ein wichtiger Schritt zum Schutz der genetischen Ressourcen. Saatgutbanken und Erhalterorganisationen sichern das Erbgut alter Sorten für die Zukunft und schaffen die Grundlage für die Züchtung neuer Sorten, die sich besser an den Klimawandel anpassen. Die Nutzung von Fortschritten in der Züchtung, die auf alten und modernen Methoden basieren, kann eine wichtige Rolle dabei spielen, zukünftige Herausforderungen wie Trockenheit, neue Krankheiten oder Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten zu meistern.
Nicht zuletzt kommen staatliche Förderprogramme der ökologischen Bedeutung alter Getreidesorten zugute. In Sachsen bekommen Landwirte seit 2023 einen jährlichen Zuschuss von 120 Euro pro Hektar, wenn sie historische Sorten anbauen. Das Ziel ist es, die genetische Vielfalt zu schützen, die Umweltbelastung zu minimieren und Produktionsweisen zu unterstützen, die auf Nachhaltigkeit setzen. Diese Aktionen sind Bestandteil einer größeren Agrarwende, die versucht, Ökologie, Wirtschaftlichkeit und Ernährungssicherheit zu vereinen.
Politische Förderung und Rahmenbedingungen
Politische Initiativen und gezielte Förderprogramme spielen eine entscheidende Rolle bei der Rückkehr alter Getreidesorten auf die Felder Deutschlands. In Anbetracht des zunehmenden Verlusts der genetischen Vielfalt und der Schwierigkeiten, die der Klimawandel mit sich bringt, erkennen Bund und Länder die wichtige Rolle von traditionellen Kulturpflanzen für eine nachhaltige und resiliente Landwirtschaft. Landwirte sowie züchtende und verarbeitende Betriebe können die Förderung in Anspruch nehmen.
In Sachsen gibt es seit 2023 eine spezielle Unterstützung für den Anbau von alten und seltenen Getreidesorten. Landwirte, die solche Sorten anbauen, bekommen jährlich 120 Euro pro Hektar. Es umfasst nicht nur Getreide, sondern auch historische Kartoffelsorten, Ölpflanzen und weitere Feldfrüchte. Die Zielvorgabe steht fest: Genetische Ressourcen bewahren, regionale Vielfalt stärken und ökologische Anbauverfahren fördern. Die finanziellen Hilfen haben die Aufgabe, die Mehrkosten und das höhere Risiko, das mit dem Anbau alter Sorten verbunden ist, auszugleichen.
Politische Unterstützung umfasst weit mehr als finanzielle Anreize. Selbst gesetzliche Rahmenbedingungen werden geändert, um die Zulassung und Vermehrung von alten Sorten zu erleichtern. Bislang waren die bürokratischen Hürden für die Registrierung neuer oder wiederentdeckter Sorten oft hoch, weil sie den Anforderungen moderner Züchtungsprogramme genügen mussten. Es wurden mittlerweile Erleichterungen geschaffen, die es ermöglichen, dass alte Sorten in nationale Saatgutkataloge aufgenommen werden und die den Zugang zu Saatgut vereinfachen.
Programme auf nationaler und europäischer Ebene, wie die "Nationale Strategie zur Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen" und die Projekte der Europäischen Genbank, sind dafür verantwortlich, dass altes Saatgut gesammelt, dokumentiert und der Landwirtschaft zur Verfügung gestellt wird. Um die Biodiversität von Kulturpflanzen zu bewahren, kooperiert Deutschland eng mit internationalen Partnern. Ein zentrales Element dieser Strategie ist die Unterstützung von Projekten, die sich der Erhaltung und Nutzung alter Getreidesorten widmen.
Politische Rahmenbedingungen werden durch Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit ergänzt. Das Bewusstsein für die Wichtigkeit alter Getreidesorten wird durch Informationskampagnen, Fachtagungen und regionale Netzwerke gestärkt. Es wird Landwirten, Verarbeitern und Verbrauchern ans Herz gelegt, aktiv an der Erhaltung und Nutzung der Sortenvielfalt teilzunehmen. Die Zusammenarbeit mit Schulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen wird ebenfalls verstärkt, um das Wissen über traditionelle Getreidearten zu verbreiten und Innovationen zu fördern.
Trotz aller Bemühungen ist der Anteil der alten Getreidesorten an der gesamten Anbaufläche weiterhin gering: In Sachsen profitieren derzeit etwa 15 Betriebe auf rund 460 Hektar von dieser Förderung. Mit über 700.000 Hektar Ackerfläche im Bundesland ist dies ein kleiner Anfang. Aber es sind die politischen Entscheidungen, die die Voraussetzungen schaffen, damit die Wiederbelebung alter Getreidesorten weiter an Fahrt gewinnt und sie langfristig einen festen Platz in der Landwirtschaft hat.
Saatgut und Erhaltung: Von Genbanken bis Bauerninitiativen
Ein wesentliches Hindernis für die Wiederbelebung alter Getreidesorten ist die Verfügbarkeit von geeignetem Saatgut. Historische Sorten sind oft nur in kleinen Beständen erhalten; sie befinden sich häufig in Genbanken oder werden von privaten Sammlern und Vereinen gepflegt. Die Aufgabe, diese genetischen Schätze zu bewahren und zu vermehren, ist anspruchsvoll und erfordert Engagement, Fachwissen und Zusammenarbeit.
In Deutschland ist der Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen (VERN) sehr wichtig. Der Verein in Brandenburg baut seit Jahren Saatgut aus Genbanken an, prüft es auf Anbaueignung und vermehrt es gezielt für die Landwirtschaft. Fast 1.000 Getreidesorten wurden bisher geprüft, und rund 100 sind in ausreichender Menge verfügbar, um sie interessierten Landwirten anzubieten. Die rund 150 Bauern aus Deutschland und den angrenzenden Ländern, die VERN angehören, helfen aktiv dabei, die Sortenvielfalt auf den Feldern zu bewahren und zu fördern.
Um die Saatguterhaltung erfolgreich umzusetzen, ist es entscheidend, dass Genbanken, Vereine und Praxisbetriebe zusammenarbeiten. Das Erbgut alter Sorten wird in kontrollierten Umgebungen von Genbanken, wie der in Gatersleben oder der europäischen Genbank, bewahrt. Es ist gleichzeitig entscheidend, die Sorten regelmäßig im Feld zu kultivieren, um ihre Anpassungsfähigkeit an die aktuellen Anbaubedingungen zu bewahren. Das wird durch sogenannte Erhaltungsanbauer erreicht, die sich dem Anbau, der Vermehrung und der Pflege von alten Sorten widmen.
Nach strengen Kriterien wählen wir geeignete Sorten aus. Die genetische Vielfalt ist wichtig, aber auch die Anbaueignung unter den gegenwärtigen Bedingungen, die Markt Nachfrage sowie die Verfügbarkeit von Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen sind entscheidend. Nicht alle alten Sorten sind für den großflächigen Anbau geeignet; einige sind besser für den Nischenmarkt oder den ökologischen Landbau geeignet. Eine fortlaufende Überprüfung und Verbesserung ist deshalb unerlässlich.
Ein weiteres Problem ist die Legalisierung von alten Sorten. Weil viele von ihnen nicht offiziell als Saatgut anerkannt sind, sind Vertrieb und Vermehrung erschwert. Um diese Hürden abzubauen und den Zugang zu altem Saatgut zu erleichtern, werden neue gesetzliche Regelungen auf nationaler und EU-Ebene geschaffen. Auf diese Weise können mehr Landwirte die Gelegenheit nutzen, alte Sorten auf ihren Feldern anzubauen und somit zur Erhaltung der genetischen Vielfalt beizutragen.
Die Arbeit von Saatgutinitiativen wird immer mehr durch öffentliche Fördermittel, Spenden und den Verkauf von Saatgut unterstützt. Durch Bildungsprogramme, Workshops und Feldtage wird das Wissen über den Anbau, die Pflege und die Vermehrung von alten Getreidesorten vermittelt. Ein Netzwerk aus Genbanken, Vereinen, Landwirten und Verbrauchern entsteht, das die langfristige Erhaltung und Nutzung der Sortenvielfalt sichert.
Marktchancen und Zukunftsperspektiven
Die Marktentwicklung für Produkte aus alten Getreidesorten steckt in den Startlöchern. Obwohl der Großteil des Brotgetreides weiterhin von wenigen, ertragsstarken Sorten dominiert wird, steigt das Interesse an Spezialitäten wie Gelbweizen, Champagnerroggen oder Waldstaudenroggen kontinuierlich an. Traditionelle Getreidearten sind heute ein immer größer werdender Bestandteil des Sortiments von Handwerksbäckern, Biohöfen, Wochenmärkten und Online-Plattformen, die Backwaren, Nudeln, Müslis und Feingebäck anbieten.
Die Regionalität und die Suche nach authentischen, hochwertigen Lebensmitteln sind auf dem Vormarsch, was neue Verkaufschancen schafft. Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher haben Produkte mit nachvollziehbarer Herkunft, besonderen Geschmacksnuancen und gesundheitlichen Vorteilen im Visier. Handwerkliche Qualität, Individualität und Nachhaltigkeit spiegeln sich in Brot aus Gelbweizen oder Sauerteiggebäck mit Waldstaudenroggen wider. In urbanen Gebieten und bei ernährungsbewussten Zielgruppen wächst die Bereitschaft, für solche Spezialitäten höhere Preise zu zahlen.
Landwirte und Verarbeiter können durch Direktvermarktung und kurze Lieferketten vom Massenmarkt abweichen und sich zudem stabile Erlöse sichern. Zusammenarbeiten mit Bäckereien, Mühlen und lokalen Initiativen stärken die Wertschöpfung in der Region und helfen, neue Produkte zu entwickeln. Anlässe wie Brot- und Getreidefeste, Backwettbewerbe oder kulinarische Themenwochen schaffen mehr Aufmerksamkeit und verbinden Produzenten mit Konsumenten.
Die Zukunft der alten Getreidesorten ist untrennbar mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen verbunden. Aspekte wie Klimaschutz, Ressourcenschonung und Ernährungssouveränität rücken immer mehr ins Rampenlicht. Mit Hilfe von alten Getreidesorten können wir eine Landwirtschaft fördern, die weniger auf Chemie angewiesen ist und stattdessen auf Vielfalt, Anpassungsfähigkeit und Resilienz setzt. Sie fördern die Schaffung regionaler Kreisläufe und erhöhen die Unabhängigkeit von internationalen Saatgut- und Lebensmittelunternehmen.
Der Anbau von alten Sorten ist gleichzeitig eine Nische, die fortlaufende Unterstützung und Innovation braucht. Es ist wichtig, dass Forschung und Züchtung weiterhin daran arbeiten, die Erträge, die Krankheitsresistenz und die Verarbeitungseignung zu verbessern, ohne die besonderen Merkmale der Sorten zu verlieren. Um das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Sortenvielfalt und nachhaltiger Landwirtschaft zu verbessern, sind Bildungsangebote, Netzwerkarbeit und politische Unterstützung unerlässlich.
Im Jahr 2025 wird deutlich: Das Wiederaufleben der alten Getreidesorten ist kein kurzfristiger Trend, sondern ein Zeichen für einen umfassenden Wandel im Agrar- und Ernährungssystem. Tradition, Innovation und Nachhaltigkeit zusammenzubringen, schafft Chancen für Landwirte, Verarbeiter und Verbraucher – und bewahrt die Vielfalt auf Teller und Feld für zukünftige Generationen.